Die Schaubuden sterben wohl tatsächlich durch die permanente digitale Dröhnung. Das ist auch ein Problem für etwa Zirkusse. Du kannst so etwas eigentlich immer überall erleben.
Ich hab selbst vor einiger Zeit mal eine offizielle Roncalli-DVD gesehen. Das wird live mutmaßlich nur unwesentlich besser. Auch von einem berüchtigten Rammstein-Konzert habe ich im Nachgang auf Youtube mehr gesehen als für 115 Euro direkt vor Ort
. Traurig aber war.
Es gibt eine interessante Tendenz in der digitalen Wende, von der ich glaube, dass viele Leute sie übersehen. Viele behaupten ja einfach, dass die Aufmerksamkeitsspanne generell gesunken und die Leute dadurch gar nicht mehr in der Lage seien, die Monotonie oder auch nur ein langsames Tempo zu ertragen. Das Gegenteil ist vielleicht nicht wahr im Sinne der Phrase, aber doch wahrer als man oft meint:
Einen Überreiz an neuen Inputs bekomme ich überall wo ich will. Der ist durch die digitalen Möglichkeiten auch in den meisten Fällen so hoch getaktet, dass die reale Aussenwelt gar nicht mehr mit kommt mit ihren Konzepten, die einem vorher die Reizüberflutung geliefert haben.
Also muss die Aussenwelt auf die Langsamkeit, auf das behäbige, das monotone, vielleicht auch das analoge setzen und darin funktionieren.
In meinem Job im Jugend & Sozialbereich hab ich schon ganze Freitagabende damit verbracht, im Jugendzentrum mit Teenagern Verstecken zu spielen. Könnte man meinen die wären aus dem Alter raus und würden die ebenfalls vorhandene Playse frequentieren, aber nein, da setzt die komplette Regression ein und es wird geliebt. Wenn du dein Restalltag so hoch taktest, bzw. getaktet bekommst, brauchst du Konterpunkte. Nicht mal zwingend im "nochmal Kind sein", sondern in der Entschleunigung.
Eine ähnliche Tendenz erlebte ich als Mitarbeiter in einem Ferienlagerprojekt, dass sein um die Jahrzehntwende (2009/2010) immenses Actionspektakel in den letzten Jahren bereits vor der Pandemie immer weiter runter fuhr, einfach weil das grosse Bumm Bumm nicht mehr program extraordinaire war, sondern etwas von vielem. Die neuen, wesentlich unauffälligeren und vom Aufwand reduzierten Programmpunkte, waren das neue "spannend", weil abweichend vom Alltag.
Hinzu kommt noch der psychologische Aspekt, dass man ein Erlebnis nicht mitnimmt, weil es "möglichst viel (neues/interessantes) auf einmal", sondern viel mehr weil es "möglichst spezifisch auf einen Moment" zurückzuführen ist in der Erinnerung.
Was bedeutet das jetzt übertragen auf die Kirmes? Ganz einfach. Setzt mal einen Zwölfjährigen in einen XXL und lasst ihn schön lange fahren. Nicht nur koppelt ihr den damit vom Telefon ab, nein, ihr gebt ihm ein an dieses Geschäft, diesen Standplatz, diesen Moment geknüpftes analogen Erlebnis.
Das bietet eine Schaubude oder Steilwandshow so mitnichten. Kuriositäten sind eine Googlesuche entfernt und dass deutlich realistischer als es jede Illusion könnte. Die Steilwandshow bietet neben ein paar umweltpolitischen Diskussionspunkten und dem einen oder anderen Unfall auch nichts gegen ein gut gefilmtes Downhillvideo auf allem mit mehr als 20 Zoll Bildschirmdiagonale.
Aber vor allem ist die fehlende Immersion der entscheidende Aspekt - und auch mit der Punkt, warum, wie ghosttrain völlig korrekt anmerkte, Ponyreiten und Kikas (und ich möchte ergänzen; Boxautomaten und Greifer) nach wie vor ziehen - weil sie ihre Kundschaft mit einbeziehen. Der selbst erlebte Moment wiegt immer über dem gesehenen (ob digital on screen oder in analog direkt vor einem)!
Deshalb fahren Leute in den Urlaub auch an überfüllte Strandkorbreihen, anstatt sich die Strände leer und naturbelassen im Internet anzusehen.
Vielleicht ist auch das noch viel zu wenig als Generationenthematik gesehen. Diejenigen, die in einem eher banalen Leben mit dem Spektakel als Event und als Abwechslung aufgewachsen sind, werden eine überladene Rammsteinshow vermutlich höher priorisieren als einen Explosions-in-the-Sky - Gig, der einfach nur aus zwei Stunden "Musiker starren auf ihre Pedalboards in Nebelschwaden in Licht getaucht" besteht - ich ziehe letzteren eindeutig vor, nicht weil die Rammsteinshow als solches zu unspektakulär wäre um einen Abend Spass zu haben, sondern vielmehr weil ich einen visuellen Rammstein-Konzerteffekt auch ohne Ohrenschaden auf YouTube geliefert bekomme, das immersive Erlebnis eines Postrock-Gigs aber auf keinen Fall - das "Teil von etwas sein", anstatt es einfach nur zu sehen.