Ein langes Plädoyer zur Verteidigung der Hai-Shows: Mäusestadt und Ponyreiten – sobald auf einem Kirmesplatz Schaustellergeschäfte vertreten sind, in welchen mit Tieren gearbeitet wird, kann man heutzutage davon ausgehen, dass Veranstalter und Lokalpresse mittels Briefen und E-Mails von fragwürdigen Organisationen und deren Sympathisanten bedrängt werden, in welchen mit Vorurteilen, substanzlosen Beschuldigungen und Falschbehauptungen ein Verbot der Marktbeschickung mit derartigen „tierischen“ Attraktionen gefordert wird. Obgleich Kirmes-Freunde öffentlich kaum Partei ergreifen, ist in den Beiträgen diverser Internet-Foren ersichtlich, dass die Auffassungen der fundamentalistischen Tierschutz- und Tierrechts-Kreise zu Mäusestädten, Ponyreiten, etc. für gewöhnlich und richtigerweise nicht geteilt werden. Anders verhält es sich in Bezug auf die in Deutschland historischen Hai-Shows: Kommt die Sprache auf dieses Thema, so finden sich nicht selten – sinngemäße – Statements, dass solche Shows heute „zum Glück“ „undenkbar“ wären etc. – die dann merkwürdig unwidersprochen bleiben. Ich werde im Folgenden Argumente anführen, warum wir dies überdenken müssen und was für einen Einsatz von Haien in reisenden Shows spricht.
Eine Hai-Show ist ein auf einem Anhänger oder Auflieger gebautes mobiles Seewasseraquarien mit reiner Haihaltung, in welchen im ersten Teil der Show die Haie bewundert, im zweiten Teil Mensch-Hai-Interaktionen gezeigt wurden. Zu Provenienz und Erscheinungsformen findet man auf Kirmes-Seiten genügend Informationen. In den Aquarien wurden zumeist zwei oder eine Spezies gehalten: Zitronenhaie (
negaprion brevirostris) und Ammenhaie (
gynglymostoma cirratum). Nun ist es in der Tat richtig, dass der agile Zitronenhai, mit seinem herrlich-„haitypischen“ Körperbau quasi eine Miniaturausgabe des Weißhais, obschon grundsätzlich aquarientauglich, nur in Großaquarien ab 100.000ltr. aufwärts gehalten werden sollte, die Haibassins der Schausteller waren für die Art einfach zu klein. Momentan ist der Zitronenhai übrigens auch eine zoobiologische Rarität – Dollingers Zootierlexikon listet nur zwei Haltungen im gesamten EAZA-Raum (Burg und Zella-Mehlis). Anders verhält es sich aber beim Ammenhai: Ammenhaie werden in Italien (
https://www.facebook.com/p/-CIRCO-ACQUATICO-TORRES--100064511090033/) und USA (
http://www.capitolint.com/Fairs/Sharks/shark.htm) auch heute noch erfolgreich in mobilen Tierhaltungen gepflegt. Ammenhaie sind benthische Haie, die in flachen Küstengewässern heimisch sind und sich in eng umgrenzten Territorien bewegen, welche meist ein Leben lang nicht verlassen werden. Es sind keine dauerschwimmenden oder Hochsee-Haie. Sie haben kein allzu großes Bewegungsbedürfnis, schwimmen sehr langsam, ruhen oft stundenlang – teilweise sogar mehrere Haie übereinander – auf dem Meeresgrund und sind deshalb durchaus auch für eine Hälterung in mittleren Großaquarien geeignet. Das Bassin in welchem Ammenhaie beispielsweise im ozeanografischen Museum in Monte-Carlo, Monaco, gehalten werden, dürfte nicht größer als diejenigen der gegenwärtig und historisch in Deutschland reisenden Hai-Shows bemessen sein. Außerdem sind Ammenhaie sehr tolerant bezüglich variierender Wasserwerte, was ebenfalls ihrer Präsenz in einem Mobilaquarium entgegenkommen dürfte. Dass man sie zu ihrer Unterbringung auch in „ein feuchtes Tuch einwickeln könnte“ (Stevens, 1995) ist gewiss eine scherzhafte Übertreibung, veranschaulicht aber die relative Einfachheit ihrer Hälterung.
Aber sind die Haibassins nicht doch zu klein? Durchaus nicht, denn auch ein Hai streift nicht aus Sportsgeist oder Freiheitsdang durch sein Habitat, sondern nur deshalb, weil er nicht anders seine Instinkte, Trieb- und Bedürfnisziele (z.B. nach Nahrung) befriedigen kann, als dass er innerhalb von Territorien nützliches aufsucht und schädliches meidet, wobei die Größe des Territoriums eben von Faktoren (wie Nahrungsangebot/ Besatzdichte/ Anzahl an Fressfeinden/ Territorialbeschaffenheit) abhängig ist. Werden diese Faktoren jedoch in einem künstlichen Lebensraum optimiert und werden dem Tier alle Güterdinge seiner Bedürfnisbefriedigung (die Futterfische/ das saubere Wasser/ der Sozial und Geschlechtspartner) zur Verfügung gestellt, so entfällt auch jeglicher Wanderdruck und das notwendige Raumangebot minimiert sich auf das grundlegende Bewegungsbedürfnis des Tiers, welches sich beim Ammenhai bekanntermaßen in Grenzen hält.
Auch ist zu beachten, dass das rund 400 Mio. Jahren vor dem Menschen entstandene, urtümliche Haigehirn im Wesentlichen aus sensorischen Bereichen (in der Hauptsache Geruchsinn), Kleinhirn und Stammhirn besteht. Obwohl der Hai auch Anteile bedingter Reflexe, assoziativen Gedächtnisses und sogar einer gewissen praktischen Intelligenz besitzt (sodass in begrenztem Maße auch Verhaltensänderung durch Erfahrung = Lernen möglich ist), bleibt sein Verhalten doch in weiten Teilen instinktbestimmt, weshalb übertriebene Vorstellungen, wie schwer die Bedürfnisse eines Hais zu befriedigen wären, wohl fehl am Platz sind. Steht dem Hai qualitativ hochwertiges Futter, ein gewisser Schwimmraum und sauberes Wasser zur Verfügung dürfte er mit seiner Welt weitgehend im Reinen sein. Ein gewisses Problem bei Haihaltung stellt eher das ebenso primitive Stoffwechselsystem und der gute Appetit dar, die zusammengenommen zu einer starken Biobelastung des Wassers führen, was ein leistungsstarkes Filtersystem und intensive Wasserwechsel erforderlich macht. Aber dies sind technische Probleme, für die es mit Sandfiltern, Eiweissabschäumern, biologischen Filtern und ggfs. UV-Filtern auch technische Lösungen gibt.
Aber stellt das Umsetzen des Aquariumswagens nicht doch eine zu große Belastung für die Haie dar, werden sie nicht infolge ihrer Trägheit beim Bremsen und beschleunigen gegen die Beckenwände geschleudert? Träfe dies zu, so müssten Spuren von solchen Ereignissen wie Deformationen des Knorpelskeletts Kopfverletzungen etc. am Hai feststellbar sein. Dies war/ ist aber nicht der Fall, weshalb Haie die Fahrbewegungen offenbar gut ausgleichen können. Außerdem pflegten die Schausteller beim Umsetzen eines 30 – 50.000ltr Aquariums-LKWs ja nicht den Fahrstil eines Sportwagens, Geschwindigkeiten von 50km/H wurden selten überschritten und es wurde auch sehr behutsam gefahren. Gewiss wird das Wasser in dem mit Deckeln verschlossenen Aquarium während der Fahrt schwappen, doch auch das natürliche Meerwasser ist ständig in Bewegung, die Haie werden in ihrem „Wohnraum“ transportiert, in welchem sie sich ohnehin ständig aufhalten und es ist nicht zu vermuten, dass sie vom Umsetzen allzu viel mitbekommen.
Konstruiert erscheint auch der Einwand, dass Haie wegen ihres Elektrosinns nicht für die Aquarienhaltung geeignet wären. Tatsächlich setzen Knorpelfische ihre Elektrorezeptoren (die sog. Lorenzschen Ampullen) zur Ortung von Beutetieren, z. B. im Sand, ein. (Kein Sonar!) Warum dies eine Problemursache für die Hälterung von Haien, Rochen und Zitteraalen sein soll, ist jedoch nicht ersichtlich. Das Vermögen verkümmert bei in Aquarien gehaltenen Individuen nicht, geht erst recht nicht verloren und auf dem Aquarienboden verlaufen ja auch keine elektrischen Leitungen.
Letztendlich kann eine edukative Hai-Show auch Faszination, Bewunderung und Sympathie für den Hai als Botschafter seiner Art wecken, das Bewusstsein für die Notwendigkeit für den Schutz der Biodiversität schärfen und Menschen zu einem die Ozeane schonenden Verhalten, wie Recycling und dem richtigen Handling von Abfall animieren. Haie können in inspirierenden Mensch-Hai-Interaktionen als fühlende Mitgeschöpfe dargestellt werden, wodurch positive Erlebnisse mit Haien auch in Regionen, in welchen kein Zoo oder Aquarium zur Verfügung steht, vermittelt werden können. Der in den klassischen Hai-Shows aus dem off-abgespielte Vortrag vermittelte durchaus interessante Inhalte zu Arten, Sinnesleistungen und Verhalten der Haie, hatte jedoch eine Schlagseite hin zu einer Überbetonung, ja Dramatisierung von deren Gefährlichkeit. Heute betonen gutgemeinte Berichte oft die „Harmlosigkeit“, „Menschenscheu“ oder die Seltenheit von Hai-Angriffen auf den Menschen, was dazu führt, dass Urlauber die vermeintlich friedfertig daliegenden Ammenhaie zu streicheln versuchen und schließlich die Bestürzung groß ist, wenn das aufgeschreckte Tier in einer Abwehrreaktion zubeißt und dann schlimmstenfalls ein Finger fehlt (Ammenhaie können mit ihrem starken Gebiss die Schalen von Mollusken knacken.) Demgegenüber sollte der Vortrag freilich keinesfalls das alte Bild vom menschenfressenden Monster reproduzieren, sehr wohl jedoch über einen handlungsrichtigen Umgang bei Freiland-Begegnungen mit einem potentiell gefährlichen Raubtier (was der Hai ja durchaus ist!) aufklären, sowie betonen, dass der größte Feind des Menschen nicht der Hai, sondern der Mensch des Hais ist.
Der geneigte Leser entscheide. Ich auf jeden Fall sage „ja“ zu einer edukativen, zoologisch handlungsrichtigen Hai-Show, wie sie z.B. von Philipp Peters in den USA auf großen Carnival-Veranstaltungen präsentiert wird.
Bernhard Eisel, Autor des Buchs „Schaustellerseelsorge. Lebenswelt und gelebte Religion von Menschen auf der Reise“