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Nostalgie-Rummel in der Großstadtoase

Von Alexander Hettich

Mit der Schiffschaukel in die Vergangenheit gondeln: „Es kommen auch immer wieder alte Damen vorbei, die das ausprobieren wollen“, erzählt Eliszi Böhm.

Stuttgart/Ittlingen - Die Zeitreise beginnt im Stuttgarter Höhenpark Killesberg. Vor dem ultramodernen Aussichtsturm dreht sich ein Karussell wie aus dem Bilderbuch. Kinder bevölkern die bunt lackierten Giraffen oder Pferde, drehen auf dem historischen Gefährt ihre Runden. Waffelduft liegt in der Luft, die alte Orgel schmettert einen Cancan. Nebenan gondeln Großmütter mit ihren Enkeln in der Schiffschaukel hin und her. Ein Retro-Rummel, der in den Sommermonaten längst zum Besuchermagneten geworden ist; eine Welt, die ein Ittlinger Schaustellerpaar in der Großstadtoase geschaffen hat.



„Das hier ist alles etwas planlos entstanden“, sagt Eliszi Böhm und blickt sich im historischen Jahrmarkt um, der an diesem frühen Samstagnachmittag bestens besucht ist. Planlos? Sagen wir: Es hat sich gefügt. Schon vor 20 Jahren trat die Kleinkünstlerin, Clown-Darstellerin und reisende Theaterschaffende mit ihrem damaligen Lebensgefährten als Clownzirkus Eliszi und Pjie regelmäßig im Stuttgarter Park auf. Damals noch ohne feste Bühne. Einige Jahre später, das Clownduo hatte sich mittlerweile getrennt, stöberte Eliszis heutiger Mann Uwe Kircher bei Schaustellern einen alten Zirkuswagen auf und schleppte ihn per Traktor aus dem Remstal auf den Killesberg.

Der Anhänger wurde die erste Spielstätte für Eliszis Jahrmarktstheater, das in Stuttgart zur Marke geworden ist. Von März bis Oktober lässt die Frau mit dem freundlichen Lächeln jeden Nachmittag um 16 Uhr für Kinder die Kasper-Puppen tanzen. Das neue, größere Theater ist ebenfalls ein Karussell von anno dazumal, das die Schausteller zum Zelt mit hundert Plätzen umfunktioniert haben. Der alte Wagen kommt noch jedes Jahr auf der Ittlinger Kerwe zum Einsatz. Eliszi ist fasziniert von der Interaktion mit dem jungen Publikum: „Das ist so schön, was einem da entgegenkommt.“




Ein lauter Ton aus der Messingtröte erklingt. Kinder kreischen fröhlich durcheinander. Gemächlich setzt sich das mehr als hundert Jahre alte Karussell in Gang. Eliszi Böhm und Uwe Kircher sind für ein paar Minuten Cafézubereiter, Popcornbäcker und Animateur in Personalunion. „Gerade heute, wo so viel los ist, hat eine Aushilfe abgesagt, “, schmunzelt die Puppenspielerin, die in den Sommermonaten im Wagen auf dem Killesberg wohnt.


Während der Ferien hilft die 13-jährige Tochter Fabia am Waffeleisen aus. Die beiden älteren Söhne bleiben meist in Ittlingen, wo die Familie seit 14 Jahren zuhause ist. „Es war etwas ungewohnt, auf dem Dorf zu wohnen“, gesteht die Schaustellerin. Gegenüber der Parkidylle hat das Kraichgau-Bauernhaus aber handfeste Vorteile: „Wenn es regnet, kann es in den Zirkuswagen unangenehm sein.“

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Eliszi ist die Theaterfrau. Uwe Kircher ist für die Technik zuständig. Die Attraktionen des Jahrmarkts hat er aus allen Himmelsrichtungen zusammengesucht. Die rotierenden Räuberköpfe der Wurfbude wurden bis in die 70er Jahre auf dem Volksfest am Cannstatter Wasen malträtiert. Dann verschwanden sie in einem Sinsheimer Lager, zerlegt in alle Einzelteile. „Das war Puzzle für Erwachsene“, sagt der gelernte Kfz-Mechaniker, den es immer reizt, „Sachen zusammenzubauen, die man eigentlich gar nicht mehr zusammenbauen kann“. In seiner Ittlinger Werkstatt restauriert er zurzeit eine zweite Jahrmarktorgel. Nur an Silvester hat er sie im Kraichgaudorf tönen lassen. „Bei den Dingern kann man leider die Lautstärke nicht regulieren.“


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Singend im Sattel? Das Karussell dreht sich weiter. Und das Geschäft läuft rund, glaubt man den Ittlinger Schaustellern, die sich in Stuttgart eine Traum erfüllt haben. Die Träume gehen nicht aus. Eliszi bringt bald mit einem Partner eine Clownerei für Erwachsene auf die Bühne. „Das wird deftig.“ In Ittlingen bildet sie gerade Wallach Paso zum Zirkuspferd aus. Als singende Reiterin über den historischen Rummel am Killesberg zu fegen. Auch so ein Traum, der vielleicht bald umgesetzt wird. Ganz planlos.

© Text und Bild stimme.de
 

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