Bruch: „Wir sind im zweiten Jahr ohne Umsatz. Ich bin am Ende.

Ja, hatte ich - aber doch nur im Fall einer Abwicklung / Vollstreckung. Wie gesagt: wenn Holzweg, dann Ansage!

Ich versuche, meinen Lebensunterhalt mit Veranstaltungstechnik und speziellen, mobilen Überdachungen zu bestreiten. Und bekanntlich gibts in dem Metier viele tolle Techniker, aber kaum brauchbare BWLer (;O)
Finde ich toll. Ich habe mit meinem Vater und meinem Bruder zusammen eine Veranstaltungsfirma. Kann die ganzen Menschen, die derzeit nicht ihren Beruf ausüben können und gefrustet sind, gut verstehen.
 
Ok... ich bin auch kein BWLer, aber seit vielen Jahren Selbstständig. Ich vermute jetzt (und lasse mich gerne eines Besseren belehren), dass die von dir genannten GmbH & Co KG oder OHG in den seltensten Fällen in der Schaustellerszene anzutreffen sein werden. Die OHG ist in der Regel eine reine Handelsgesellschaft (und der Handel mit Fahrchips dürfte nicht darunter fallen) und die GmbH & Co KG ist - zumindest was die persönliche Haftung angeht - auch nicht ohne. Zumal diese Gesellschaftsform zwar große Handlungsspielräume für die Ausgestaltung der Geschäftstätigkeit erlaubt, in der Haftung aber als Firma mit dem Gesamtvermögen haftet und die Gesellschafter nur mit ihrer Einlage. Banken haben das gar nicht gerne - weil im Falle einer Insolvenz gibts nach der Einlage der Gesellschafter (die gerne gering bleibt) auch nur den Weg der Vollstreckung. Also Verwertung oder Veräußerung und mit dem Erlös werden die Verbindlichkeiten bedient. Hat also - in der Regel - kaum Vorteile zur GmbH.
Kommen wir zum Gau - die GmbH legt sich hin. Dann ist die persönliche Haftung erst mal auf die Höhe der Einlagen beschränkt - aber danach wird eben auch im Unternehmen vollstreckt werden. Finanzamt und Sozialkassen sind da sehr schmerzfrei.
Die Sicherheiten zur Kreditbeschaffung dürften Hauptsächlich in den damit erworbenen Anlagen stecken - kurz: die Bank weiß, dass ihr ein Riesenrad gehört, wenn die monatliche Tilgung ausbleibt. Es ist tatsächlich nicht unüblich, dass bei inhabergeführten GmbH der Inhaber / Geschäftsführer neben der ursprünglichen Sicherheit (Riesenradachterbahnlaufhochfahrbergundtalbahnverlosungsschießbudenkiddyridepommescrepésfahrgeschäftsschaukelscooter) auch noch einen gewissen Teil seines Privatvermögens besichert - damit im Fall einer Insolvenz zum Beispiel die oben genannten Sozial- und Steuerabgaben noch geleistet werden können. Zumindest für einen bestimmten Zeitraum. Das ist - in zwei Worten - nicht schön.
Wo ich hin will: natürlich trifft es unter Umständen die kleinen und mittleren Betriebe extrem hart. Die haben aber - im Gegensatz zu den Großen - immer noch mehr und schnellere Möglichkeiten, ihre Unternehmung zeitweise stillzulegen und so Kosten zu sparen. Ohne Personalverantwortung (oder mit geringer Personalverantwortung) und mit überschaubaren, laufenden Kosten für Betrieb, Lager, Kredit und so weiter, ist man als Unternehmer weit flexibler. Auf der anderen Seite haben die Großen aber auch noch sehr schnell ein anderes Problem am Bein: fortgetragene Finanzierungen - also Finanzierungsmodelle die über Abschreibungen funktionieren oder wo schon vor Ablauf der einen Finanzierung die nächste angegangen wird - kollabieren sehr schnell, wenn ein Baustein wegfällt.

Lasst mich ein völlig aus der Luft gegriffenes Beispiel konstruieren: Der Schausteller Max Mustermann beginnt mit einer Fressbuden - weil Mampf geht immer. Die legt er auf fünf oder zehn Jahre an und nach der halben Laufzeit kauft er sich ein Rundfahrgeschäft - nicht um den Besuchern den Appetit zu verderben, sondern um neue Abschreibungen wirksam werden zu lassen. Das Ding finanziert er wieder auf X Jahre und schafft es so, aus den Erlösen und Kosten der beiden Geschäfte ein chices Steuersparmodell zu stricken. Anschaffungskosten und Wareneinkauf minimieren die Steuerlast und eine (erst mal) noch unbezahlte Anlage schafft über die finanzierte Anschaffung Steuerersparnis. Nun läuft der Laden gut und er kauft zwei Jahre vor Ende der ersten Finanzierung (weil er jetzt vielleicht nur noch geringe Raten oder wenige Raten hat) das nächste Ding - was auch immer. Bis zum Ende seiner ersten Finanzierung rechnet er wieder seine Steuerlast klein und kann aus der Ersparnis die letzten Raten der Mampfbude bedienen.

Und plötzlich fällt irgendwo in Asien eine Fledermaus in den Kochtopf. Selbst wenn die Würstelbude jetzt noch laufen würde - irgendwo coronakonform auf dem Marktplatz mit 50 Metern Entfernung und Maske oder die eine oder andere Anlage bei irgendeinem Popup-Markt laufen könnte - nirgendwo auf der Welt wird so viel Bratwurst gefressen (tschuldigung) oder im Kreis gefahren, damit der Schausteller Mustermann so die drei Finanzierungen aufrecht erhalten könnte. Das geht ein paar Wochen oder Monate gut, die Banken lassen mit sich Reden (weil was wollen die mit einer Pommesbude oder einem Riesenrad in der Schalterhalle), aber irgendwann ist auch das endlich.

Und nicht vergessen: bislang hat noch keiner aus der Familie Mustermann wirklich was verdient - im Sinne von "auf die Seite gelegt". Bisher sind nur Finanzierungen bedient worden. Das ließe sich auch in zwei Worte fassen: Unternehmerisches Risiko

Und selbst wenn er das unfassbare Glück hat und irgend ein Scheich kauft im eines seiner Geschäfte ab - dann implodiert das Steuermodell und die Bank freut sich über Vorfinanzierungsgebühren.

Sorry für den langen Text!
Volle Zustimmung, oftmals ist es ja auch der Fall, dass genauso agiert wird, wie du es beschreiben hast.

Das Argument was hier im Thread auftauchte, 30 Buden und ein Fahrgeschäft - wer ist da wichtig?
Klare Sache, das Fahrgeschäft, keiner geht zu einer Kirmes um sich 30 Crêpes Stände anzuschauen. Das Fahrgeschäft zieht das Publikum an und das merkst du auf jedem Platz, kein oder nur wenige Fahrgeschäfte und die Kasse bleibt leer.
Im Kreis Recklinghausen hatten wir bis Anfang der 2000er Jahre mehrere Fahrgeschäfte die zwar alt und bezahlt waren, aber immer noch ihren Zug hatten, davon haben alle profitiert.
Nach und nach sind die Betreiber in den Ruhestand gegangen und die Geschäfte verkauft worden.
Ersatz wurde keiner gefunden, weil der Umsatz auf den kleinen Plätzen natürlich nicht der Beste ist und damit eine Rate zu bedienen nicht ideal.
Quintessenz: Die kleinen Plätze sind alle nacheinander kaputt gegangen, weil das Zugpferd Fahrgeschäft fehlt.

Daher sollte bitte keiner sagen, auf Fahrgeschäfte kann ich auf einem Platz verzichten.

Die Großen, wie ein Herr Bruch bekommen eher Gehör wie die kleinen und sollten in Ihrer Ansprache von uns unterstützt werden, denn schlussendlich hängt vom Überleben des Großen auch die Existenz eines jeden Schaustellers, jeder Veranstaltung und auch von der kleinen Crêpes Bude ab.

Lieben Gruß Sven
 
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Und andersherum geht´s eben auch nicht. Eine Kirmes nur mit Fahrgeschäften? Ne, läuft nicht. Wie so oft macht es die Gesunde Mischung. Versuchen, eben alle "anzusprechen". Das Teener welches Thrill braucht um sich selbst zu beweisen, Bierbuden um sich zu treffen und auszutauschen für die Mittelaterlichen, ein paar Spielgeschäfte für die ganz kleinen und auch ein paar ruhepole und "Oldis". Eben eine abgerundete veranstaltung. Ein Schützenfest wäre ohne Musik udn Bier auch irgendwie kein Schützenfest.
 
Danke, dass du das Thema nochmals hochgeholt hast. So ganz am Ende kann man ja nicht gewesen sein, wenn man den Plan in die Tat umsetzen kann. Geklappere, wie so oft. Das ist halt ein Schlag ins Gesicht der Kleinbetriebe, die tatsächlich in der finalen Existenzkrise angekommen sind.
 
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Das jede Kirmes verboten wird ist Bullshit hoch zehn und vor allem kann man da nicht mit Corona argumentieren. Nein ich rede nicht von den begehbaren Attraktionen oder von Geisterbahnen. Sondern von allen Karussells die draußen an der frischen Luft sind.


Die Ansteckungen wegen Corona an der frischen Luft tendieren gegen null.

Es wird die ganze Schaustellerbranche in den Ruin getrieben was vollkommen unverhältnismäßig ist.
 
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